Armut in Deutschland
Aus verschiedenen Studien und Veröffentlichungen können wir dieser Tage erfahren, dass die Armut in Deutschland stetig zunimmt. Diese „neue Armut“ ist gesellschaftlich breit gestreut und in den verschiedensten Gruppierungen anzutreffen.
„Ich erwarte von der Politik, dass diese umgehend entsprechende Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut in unserem Land einleiten wird“, so der Landesvorsitzende Michael Leinenbach.
Der Deutsche Berufsverband für Soziale Arbeit e. V. (DBSH) hat bereits im Jahr 2005 in seiner „Sozialpolitischen Kampagne“ auf die Mängel und bestehenden Gefahren für das Soziale hingewiesen und fordert die politischen Verantwortlichen in Bund, Ländern und Gemeinden auf, Solidarität und Chancengleichheit wieder als zentrale Aufgabe ihres gesellschaftlichen Handelns anzusehen.
Die Studie „Gesellschaft im Reformprozess“ stellt fest, dass es eine neue Gruppierung in unserer Gesellschaft gibt, die wir „Neudeutsch“ dann als das „abgehängte Prekariat“
bezeichnen und die von sozialem Ausschluss und Abstiegserfahrungen geprägt sei. Immerhin schätzt die Stiftung, dass 8 % unserer Bevölkerung dieser Gruppierung angehören.
Bedenklicher jedoch ist, dass die Studie grundsätzlich von einer Drei-Drittel-Gesellschaft ausgeht in dessen unterem Drittel laut Studie „die Unzufriedenheit mit den gesellschaftlichen Realitäten und der Politik sowie das Risiko der sozialen und politischen Abkopplung“ (1) wächst.
Untermauert wird diese Haltung auch von den Ergebnissen der Studie „Soziale Gerechtigkeit - Armut in Deutschland, Bevölkerung unterhalb der Alg. II Grenze“. So zeigt diese auf, dass derzeit etwa 1,9 Millionen Geringverdiener offenbar ihren Anspruch auf aufstockende Leistungen nicht wahrnehmen. Diese Personengruppe lebt in verdeckter Armut - und mit ihnen etwa eine Million Kinder. Betroffen seien vor allem gering Qualifizierte, Teilzeitbeschäftigte, die keine volle Stelle finden, sowie Familien mit drei oder mehr Kindern. (2)
Aber erstaunt uns das noch wirklich? Erleben wir nicht schon lange einen schleichenden Abbau des Sozialen?
Feststellen können wir, dass der Staat sich bereits auch aus der elementarsten menschlichen Versorgung langsam aber sicher zurückzieht und die Verantwortung hierfür an das Bürgertum abgibt. Erkennbar wird diese Entwicklung an denen sich mittlerweile auch in ländlichen Gebieten weiter verbreitenden „Tafeln“. In einer Pressemitteilung gibt „Die Tafel“ bekannt, dass mittlerweile bereits „600 Tafeln
in Deutschland bestehen und weitere 130 Tafel-Initiativen bereits in den Startlöchern stünden“. (3)
Viele Betroffene lebten derzeit pro Tag von ca. 4,50 Euro, die für die Zubereitung von Frühstück, Mittag- und Abendessen ausreichen müssen. Als Luxus gilt unter Armen oft schon das, was für die Mehrheitsgesellschaft als Alltagskost gesehen wird. Auf Fleisch wird meist ganz verzichtet. Frisches Obst ist selbst im Sommer noch zu teuer und auch Grundnahrungsmittel wie Milch gehören oft zu den Luxusgütern. (4)
Der Paritätische Wohlfahrtsverband (DPWV) sieht mit Sorge die wachsende Armut. Aus Sicht des DPWV muss der Regelsatz beim Arbeitslosengeld II und der Sozialhilfe nach neuesten Berechnungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes (DPWV) um 20 Prozent auf 415 Euro angehoben werden. „Der Ausgabenblock Kinderbetreuung und Unterrichtsgebühren wie z.B. für Nachhilfeunterricht ist bei den Berechnungen des Ministeriums sogar völlig „unter den Tisch gefallen“. (5)
Die Arbeiterwohlfahrt stellt in einer Studie fest, dass die Armutsquote von Kindern und Jugendlichen mittlerweile deutlich höher als die Sozialhilfequote. Je nach Armutsdefinition leben zwischen 13 und 19 Prozent in relativer Armut, das heißt, sie und ihre Familien müssen mit weniger als der Hälfte des durchschnittlichen Einkommens zurechtkommen. Bei den Sieben- bis Zehnjährigen – der untersuchungsrelevanten Altersgruppe – haben insbesondere Kinder aus Ein-Eltern-Familien (37 % leben von einem Einkommen unterhalb der Armutsgrenze), Kinder aus sehr großen Familien (vier und mehr Kinder) (56 % unterhalb der Armutsgrenze) und Kinder von Familien mit Migrationshintergrund (50 % unterhalb der Armutsgrenze) ein extrem hohes Armutsrisiko. (6)
Die Nationale Armutskonferenz kommt zum Schluss, dass die Zahl der Kinder unter 15 Jahren auf Sozialhilfeniveau sich von 1 Millionen auf 1,5 Millionen im Jahr 2005 erhöht hat. Tafeln und Kleiderkammern hätten einen erheblichen Zulauf und Beratungsstellen würden über Klienten berichten, die ihre finanziellen Ressourcen schon früh im Monat aufgebracht hätten.
„Wo ein Kinderwagen als Darlehen gewährt oder mit Krediten finanziert werden muss, werden Kinder bereits mit Schulden geboren. Wegen Hartz IV und der unzureichenden Ausstattung brauchen viele Menschen kostenlose oder verbilligte Essensangebote“, so die Nationale Armutskonferenz in ihrer Pressemitteilung vom 28.03.06. (7) Weiter gibt die Nationale Armutskonferenz bekannt, dass das SGB-II-Änderungsgesetz, das Bundestag und Bundesrat eilig durch gewunken haben, andererseits den Bundeshaushalt um Milliardenbeträge entlasten würde.
Auch die Zukunftsperspektive der Jugend gerät immer mehr ins Wanken. Laut der „15. Shell-Jugendstudie 2006“ sind Jugendliche heute deutlich stärker besorgt darüber ihren Arbeitsplatz zu verlieren bzw. keine adäquate Beschäftigung finden zu können. „Waren es in 2002 noch 55 %, die hier besorgt waren, sind es 2006 bereits 69 %. Auch die Angst vor der schlechten wirtschaftlichen Lage und vor steigender Armut nahm in den letzten vier Jahren von 62 % auf 66 % zu.“ (8)
Der stellvertretende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Landesbischof Christoph Kähler zieht aus der derzeitigen Diskussion den Schluss, dass in der Armutsdebatte in Deutschland eine langfristige Herausforderung für die gesamte Gesellschaft liegt. Ein Verweis auf Hartz IV greife viel zu kurz. Die Arbeitsmarktreformen hätten zwar vieles an den Tag gebracht, aber keine prekären Verhältnisse geschaffen. Als Grundproblem der Armutsproblematik sieht er die Fragestellung wie Bildung und Ausbildung so gestaltet werden könnte, dass die Betroffenen aus der „Armutsschicht“ ausbrechen könnten. (9)
Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (AGJ) fordert hierzu: „Chancengleichheit für alle Kinder und Jugendlichen bedeutet die Verbesserung der Lebensbedingungen und Zukunftschancen junger Menschen mit dem Ziel, soziale Ungleichheiten zu überwinden und gesellschaftliche Teilhabe unabhängig von sozialer Herkunft, Geschlecht, Religion, ethnischem Hintergrund und Behinderung zu ermöglichen.“(10)
Fasst man die hier aufgezeigten unterschiedlichen Stellungnahmen zusammen, so muss die Soziale Arbeit die Anwaltschaft
für die hier beschriebenen Zielgruppen wieder verstärkt übernehmen.
„Wir müssen deutlich und offen diese negativen Entwicklungen in unserer Gesellschaft thematisieren und aufzeigen, dass hier ein dringender Handlungsbedarf besteht“,
so Michael Leinenbach. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der sozialen Arbeit sollten daher verstärkt auf Missstände hinweisen und couragiert für die Interessen der Betroffenen eintreten.
Den DBSH Landesverband ist unter der Rufnummer 06831/704120 sowie per Mail unter info@dbsh-saar.de erreichbar. Sollten Sie Fragen oder Anregungen haben wenden Sie sich einfach an uns.
Michael Leinenbach
25.11.2006
1) „Gesellschaft im Reformprozess“ Die Friedrich-Ebert-Stiftung untersucht Reformbereitschaft der Deutschen (2006)
2) Arbeitspapier des Projektes „Soziale Gerechtigkeit“ Nr. 3 (Oktober 2006) – Armut in Deutschland, Bevölkerung unterhalb der Alg. II Grenze – Frau Irene Becker, der Hans-Böckler Stiftung
3) Pressemitteilung „Bundesverband Deutscher Tafel e.V.“ vom 14. Juli 2006 in Berlin
4) Internetpräsentation „Die Tafel“ - www.tafel.de
5) „Zum Leben zu wenig …“ - Für eine offene Diskussion über das Existenzminimum beim Arbeitslosengeld II und in der Sozialhilfe, Veröffentlichung des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes
6) Zukunftschancen für Kinder!? – Wirkung von Armut bis zum Ende der Grundschulzeit, Zusammenfassung des Endberichts der 3. Phase der AWO-ISS-Studie (2006)
7) Pressekonferenz der NAK am 28.03.2006 in Berlin, Hartz IV – Armut breitet sich aus
8) 15. Shell Jugendstudie 2006, Shell Deutschland
9) EKD-Vize Kähler weist auf „Armutskarrieren über Generationen“ hin, Eisenach (epd) 17.10.2006
10) Chancengleichheit für alle Kinder und Jugendlichen
Position der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft in 2007